Dritter Kölner Karls-Preis für kritische Publizistik
vergeben - Teil I
Laudatio für Rolf Gössner
Von Werner Rügemer
Werte
Preisverleihungs-Versammlung, werter Preisgeber Peter Kleinert von der Neuen
Rheinischen Zeitung (NRhZ) und vor allem werter Preisträger Rolf Gössner! Das
Verwaltungsgericht Köln hat im Februar 2011 geurteilt: Die Überwachung des
Bürgers Rolf Gössner durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist
grundrechtswidrig und unverhältnismäßig. Die Überwachung hatte über 38 Jahre
gedauert. Sie hatte 1970 begonnen, als er in der Studentenpolitik aktiv war.
Rolf Gössner, Träger des Kölner Karlspreises
2012 für engagierte Literatur und Publizistik,
vor dem Weissen Hollunder (alle Fotos: arbeiterfotografie.com)
Der
Verfassungsschutz überwachte ihn, weil er Mitglied des Sozialdemokratischen Hochschulbunds
SHB und dann des Sozialistischen Hochschulbunds sei, deren Mitglied er aber
nicht war. Das Urteil 41 Jahre später ist ein großer juristischer Erfolg. Die
Überwachung war schon drei Jahre zuvor eingestellt worden, ganz offiziell und
mit dem Segen des Bundesinnenministers. Aber dieser juristische Erfolg kam
nicht von selbst, etwa auf Initiative einer aufmerksamen und
grundrechtsbeflissenen Behörde, deren Aufgabe die Verteidigung des Rechts und
der Verfassung ist. Im Gegenteil, der widerrechtlich Überwachte musste sich
dafür jahrelang selbst einsetzen. Durch seine Hartnäckigkeit wurde die Justiz
schließlich zu einem Urteil gezwungen. Das Verfahren hat fünf Jahre gedauert.
Anfangs hatte
der Überwachte zunehmend Befremdliches festgestellt: Briefe waren aufgeschnitten,
Nachbarn wurden von Unbekannten über seine Besuche ausgefragt. Offiziell erfahren
von der geheimdienstlichen Überwachung hat er erst 26 Jahre nach Beginn: Das
Bundesamt bestätigte ihm 1996 auf seinen Antrag auf Auskunft über die zu ihm
gespeicherten Daten, dass er überwacht werde und schickte ihm ein sehr
lückenhaftes Personendossier. Das war eine Sammlung von Artikeln, Reden und
Interviews, die in sogenannten linksextremistischen Medien wie Blätter für
deutsche und internationale Politik, Geheim, junge welt und Neues Deutschland
erschienen waren.
Der
Inlandsgeheimdienst der Regierung, wie unser überwachter und in seinen
verfassungsmäßigen Rechten keineswegs geschützter Preisträger den
Verfassungsschutz nennt, hat seinen hochsicherheitsgeschützten Hauptsitz
übrigens hier in Köln. Und an dieser Stelle begrüße ich auch die hier
möglicherweise - wie bei Referaten unseres Preisträgers früher üblich - anwesenden
V-Leute, Informanten, Spitzel und IMs, und meine Begrüßung ist präventiv
verbunden mit dem Ausdruck großer Abscheu. Wir würden Ihnen allerdings, wenn
Sie sich zu erkennen geben und mit einem gültigen Pass ausweisen können, die
Möglichkeit eröffnen, Ihr Tun zu bedauern, sich öffentlich von Ihrem
Arbeitgeber zu distanzieren - und wir würden Sie in die Gemeinschaft der
Demokraten aufnehmen.
Karl Marx-Medaille für
Rolf Gössner
Ich möchte zudem an einen Teil der
Vorgeschichte des Bundesamtes erinnern: Sie beginnt im 19. Jahrhundert, als der
Namensgeber unseres heute zum dritten Mal vergebenen Preises, Karl Marx, in
Köln zusammen mit Freunden und Genossen, darunter einem aufgeschlossnen Bankier
aus dem Hause Oppenheim, seine schließlich weltweite Wirkung mit der Herausgabe
der Neuen Rheinischen Zeitung begann. Im Untertitel hieß sie übrigens „Organ
der Demokratie“. Marx und seine Mit-Demokraten wurden, gerade weil sie dies waren,
verfolgt. Und nirgendwo anders als in Köln ließ die preußische Monarchie, die
die bürgerliche Revolution erfolgreich niederkartätscht hatte, durch ihre
folgsame Kölner Justiz und Polizei den aufwendigen Kölner Kommunistenprozess
gegen die Marx’schen Demokratien inszenieren. Anschuldigungen wurden erfunden,
Beweise gefälscht. Das konnte man schon damals, auch ohne die heute
eingesetzten technischen Hilfen.
Werner Rügemer, Karlspreisträger 2008, bei
seiner Laudatio für Rolf Gössner
Ich überspringe
jetzt einige historische Stationen. In Köln wurde nach dem Sieg über den Nationalsozialismus
nach 1945 der Hinterhof der neugegründeten Bundesrepublik ausgebaut. Die gesamte
Unternehmerlobby verlagerte schnell und zielsicher ihre Wirkungsstätte von
Berlin nach Köln. Hier konzentrierten sich auch, in enger Absprache mit den
Vorgenannten, die Wendehälse der neugegründeten Christenpartei unter einem
gewissen Konrad Adenauer.
Hier am Rhein,
in dieser Dunkelkammer der neuen bundesdeutschen Demokratie, fielen die Entscheidungen
für die Vorderbühne im nahen Bonn, das wegen seiner kleinstädtischen Verschlafenheit
gut geeignet war, als neue Hauptstadt vom angeblichen Punkt Null aus inszeniert
zu werden. In Köln wurde die erste Bundesregierung unter dem raffgierigen Politchristen
Konrad Adenauer zusammengeklüngelt. Von Köln aus wurde die illegale Parteienfinanzierung
von den Unternehmen und Verbänden gesteuert, die wenige Jahre zuvor noch eine
andere Partei finanziert hatten. Der Reichsverband der Deutschen Industrie, der
1933 von Berlin aus die Hitler-Spende für den neuen Reichskanzler organisierte,
hatte sich in Bundesverband der Deutschen Industrie umbenannt, war ebenfalls
nach Köln umgezogen und organisierte von hier aus 1952 zeitgemäß nun die
Adenauer-Spende – sie hieß wirklich so - für den neuen Bundeskanzler. Und
nirgendwo anders als in Köln wurde der neue Geheimdienst in einschlägiger
Tradition beheimatet, in guter beziehungsweise unguter Nachbarschaft.
Karlspreisverleihung im
Weissen Hollunder
Zurück zum
Preisträger: Alle zwei Jahre hatte er sein im Kölner Amt geführtes, wachsendes
Sündenregister angefordert und hatte immer wieder nur lückenhafte Angaben
erhalten. Schließlich klagte er 2005 auf Sperrung aller gesammelten Daten, auf
Einsichtnahme und anschließende Löschung sowie auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit dieser Dauerüberwachung.
Der juristische
Erfolg ist nicht ganz so durchschlagend wie er auf den ersten Blick erscheinen
mag. Die 2.000 Seiten seiner Akte darf der Dauerüberwachte bis heute nur zum
kleinen Teil einsehen, 80 Prozent, also immerhin 1.600 Seiten, bleiben ganz
oder teilweise geschwärzt oder sind aus der Akte herausgenommen - sonst sei das
„Staatswohl“ gefährdet, heißt es. Prinzipiell hat das Gericht eine solche
Überwachung auch nicht verurteilt, sie sei eben im konkreten Fall Gössner
„unverhältnismäßig“ und rechtswidrig gewesen.
Die
selbsternannten Staatswohltäter operieren also weiter mit den
Begriffskonstruktionen „linksradikal“ und „linksextremistisch“ und stufen darunter
bekanntlich viele Gruppen und Organisationen und zum Beispiel auch die Partei
Die Linke oder zumindest eine irgendwie ausgewählte Gruppe ihrer Funktionäre
ein – wie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Linkspartei aus
dem Jahr 2010 wieder zeigte. Unnötig zu betonen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz
nach dem Urteil kein Eingeständnis seiner nachhaltigen Rechtsverstösse von sich
gegeben hat.
Auch von
höchster Stelle kam kein Bedauern, keine Entschuldigung und keine Selbstkritik.
Im Gegenteil. Deshalb ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung
hat nämlich die Zulassung der Berufung beantragt. Darüber hat das zuständige
Oberverwaltungsgericht in Münster noch nicht entschieden, vermutlich dauert das
geheime und vielleicht sogar nervöse Hin und Her zwischen Köln, Münster und
Berlin hinter den Kulissen noch an. Rolf Gössner befürchtet, wie er sagt, dass
er möglicherweise bis ins hohe Rentenalter mit der juristischen Erkämpfung
seiner Grundrechte befasst sein muss.
Werner
Rügemer bei seiner Laudatio für Rolf Gössner
Wenn Sie sich
in unserem Staat auskennen, dann haben Sie schon folgendes geahnt: Der Preisträger
wurde nicht nur vom Geheimdienst der Bundesregierung überwacht, sondern auch
von den Geheimdiensten diverser Landesregierungen, die ebenfalls ein in die
tausende gehendes und zur absoluten Geheimhaltung verpflichtetes Personal
beschäftigen. Diese Verfassungsschutzbehörden, wie auch sie zur Täuschung
genannt werden, müssen wir übrigens ungefragt auch noch aus unseren
Steuergeldern mitfinanzieren und sie tragen natürlich unverdrossen zur
ständigen Überschuldung des Staates bei, den sie auch hier nicht schützen.
Gegen den in
seinem Fall eifrigsten dieser Landes-Geheimdienste, den des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen,
hat Rolf Gössner einen weiteren juristischen Erfolg erstritten. Ende 2011 urteilte
das Verwaltungsgericht Düsseldorf, dass die Überwachung durch den Verfassungsschutz
NRW ebenfalls grundrechtswidrig und unverhältnismäßig war. Auch dieses Urteil
musste der Vielfach-Überwachte durch seine Hartnäckigkeit selbst erstreiten.
Das Verfahren dauerte hier nicht ganz so lang, sondern „nur“ dreieinhalb Jahre.
Der
NRW-Geheimdienst, dessen Arbeitsweise übrigens auch durch bisherige rot-grüne
Landesregierungen nicht geändert wurde, hatte V-Leute in Veranstaltungen
„verdächtiger Gruppen und Personen“ eingeschleust, an denen Goessner teilnahm
oder wo er ein Referat hielt. Die V-Leute erstellten sogenannte
„Quellenberichte“. Dabei sind „linksextremistische Bestrebungen beziehungsweise
Verdachtsfälle“ registriert worden. Der Geheimdienst drang hier tief in die
persönliche Sphäre ein und erfasste etwa Honorarzahlungen genauso wie die
Teilnahme Gössners als Prozessbeobachter im Auftrag der Internationalen Liga
für Menschenrechte, deren Vizepräsident er ist. Vor dem Düsseldorfer Gericht
blieben die Namen der „Verdächtigen“ und „Linksextremisten“ allesamt geheim.
Ein Gericht braucht für ein rechtsstaaliches Urteil ja nicht alles zu wissen,
nicht wahr?
Der
NRW-Geheimdienst sammelte unter anderem „Erkenntnisse“ über einen vor Gericht
ungenannt bleibenden Verein, in dem der Überwachte Vorstandsmitglied war. Die
Unterwanderungsspezialisten aus Düsseldorf hatten irgendwie läuten hören oder
sich als Begründung ausgedacht, dass dieser Verein durch eine auf der
EU-Terrorliste stehende Organisation demnächst „unterwandert“ werden solle. Der
Verdacht habe sich jedoch, so die Vertreterin des Geheimdienstes vor Gericht,
nicht erhärtet. Das war natürlich kein Grund, die Daten zu löschen. Sie blieben
gespeichert – diesmal nämlich, so die Begründung, zum Schutz des Überwachten
und seines Vereins vor Unterwanderung. So fürsorglich kann ein rechtsbrechender
Überwacher sein.
Überwachung und
Datenspeicherung waren, so das Düsseldorfer Gericht, auch deshalb rechtswidrig,
weil die Überwacher sich nicht schlüssig waren, ob der Überwachte nur „undolos“
– also unverdächtig - oder doch „dolos“, also „verdächtig“ oder selbst
„Extremist“ und „Verfassungsfeind“ sei. Er wurde deshalb rechtlich unklar und
diffus als „belastete“ Person geführt und weiter überwacht. Deshalb konnten
seine Daten unter anderem bei Sicherheitsüberprüfungen unrechtmäßig verwendet
werden.
Dieses
Düsseldorfer Urteil ist im Unterschied zum Urteil des Kölner
Verwaltungsgerichts rechtskräftig. Die Daten sind angeblich gelöscht worden,
was allerdings noch einer Überprüfung bedarf. Freilich hinterlässt es ebenfalls
den giftigen Nachgeschmack, dass Personen und Gruppierungen, die der
Geheimdienst als „linksextremistisch“ oder als „Verfassungsfeind“ einsortiert,
weiter überwacht werden dürfen. Rolf Gössner sagt deshalb aus prinzipiellen
Erwägungen: „Der Verfassungsschutz muss abgeschafft werden. Er ist eine Gefahr
für die Demokratie.“
Für diese
Forderung gibt es weitere, gewichtige Gründe. Der Vielfach-Überwachte hat sie
über seinen Fall hinaus in zahlreichen Veröffentlichungen kenntnisreich und
fundiert und in der Sache unbestritten dargelegt. Damit komme ich darauf, warum
er den Karls-Preis für kritische Publizistik erhält. Er hat sich mit dem
deutschen Inlandsgeheimdienst nicht nur, wie man heute sagt, aus „eigener
Betroffenheit“ beschäftigt. Er war als Verteidiger, Nebenklage-Vertreter,
Prozessbeobachter und Berater in einschlägigen Verfahren tätig. Auch daraus hat
er Erfahrungen weit über seinen Fall hinaus gesammelt und seine Erkenntnisse veröffentlicht.
Er hat seit
Jahrzehnten vor dem verfassungswidrigen Treiben der sogenannten Verfassungsschützer
gewarnt. Früh hat er kritisiert, dass der Verfassungsschutz durch Altnazis aufgebaut
wurde. Wie übrigens ebenso der Auslandsgeheimdienst BND und das Bundeskriminalamt
BKA. 2003 erschien Gössners grundlegendes Buch „Geheime Informanten. V-Leute
des Verfassungsschutzes – Kriminelle im Dienst des Staates“. Darin belegte er,
wie der Verfassungsschutz NPD-Mitglieder und NPD-Funktionäre bezahlt und als
Informanten an der Leine führt. Und dass so manche dieser rechtslastigen
Verfassungsschützer kriminell wurden beziehungsweise in Ausführung ihrer
Aufgabe kriminell werden müssen. So sind sie etwa durch ihre Funktion als
Spitzel gezwungen, zum Beispiel bei Demonstrationen Steine zu werfen, um sich
im ausgeforschten Milieu als weiter glaubwürdig zu erweisen. Allerdings werfen
sie die Steine offenbar keineswegs immer nur deshalb, weil sie dazu gezwungen
sind. Diese Praxis führt logischerweise zu folgender irrsinniger Konsequenz:
Der Verfassungsschutz braucht Straftaten zum „Eigenschutz“, also zum Schutz
seiner V-Leute und also letztlich zum Schutz der Demokratie!?
Diese Symbiose,
wie Gössner sagt, also diese innige Lebenspartnerschaft von Verfassungsschützern
und Verfassungsfeinden, die sich gemeinsam gegen alles richtet, was Links ist
oder dafür gehalten wird, hat nicht nur die genannten, sondern viele weitere
demokratieschädliche Folgen. Eine davon ist bekanntlich, dass das NPD-Verbot
vor dem Bundes-Verfassungsgericht scheiterte: Das Gericht konnte nicht
erkennen, ob in den Leitungsfunktionen der NPD die NPD sitzt oder der
Verfassungsschutz! Und ob der Verfassungsschutz das Programm der NPD schreibt
oder ob die NPD die Richtlinien des Verfassungsschutzes schreibt. So war es
beispielsweise möglich, dass die NPD in Nordrhein-Westfalen offenbar auf- und
ausgebaut werden konnte, weil Vorstandsmitglieder vom bereits genannten Geheimdienst
dieses Bundeslandes mit erheblichen Steuergeldern alimentiert wurden.
Der
Verfassungsschutz, so dokumentiert Rolf Gössner unwidersprochen, versorgt
V-Leute mit gefälschten Pässen und gibt Geld für Waffenkäufe. Auch ist es ganz
selbstverständlich, dass ein V-Mann mit einem einschlägigen Verlag zur
Verbreitung rechter Gesinnung beiträgt. Werbung für Verfassungsfeinde gehört
also offenbar zur Aufgabe der Verfassungsschützer. Die geheimen Strukturen
reichen auch in die Justiz und in gerichtliche Verfahren hinein. „Verfahren
gegen V-Leute oder Verfahren, in denen V-Leute eine Rolle spielen, etwa als
Zeugen, werden tendenziell zu Geheimverfahren“, schreibt Gössner. Der Geheimdienst
steht über dem Gesetz, er schirmt seine V-Leute ab und schützt sie vor
polizeilichen Ermittlungen. Gefährdete V-Leute kommen in Schutzprogramme, was
wirklich gefährdeten Linken noch nie angeboten wurde.
Diese
unheilige, von allen bisher regierenden Parteien der Bundesrepublik Deutschland
und des Landes Nordrhein-Westfalen geheiligte Symbiose von Verfassungsschützern
und Verfassungsfeinden hat sich bekanntlich auch auf besonders grausame Weise
gezeigt: Über ein Jahrzehnt lang wurde die – auch mit NPD-Funktionären verbundene
– Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, NSU, nicht erkannt und
konnte sich mit gefälschten Pässen frei in der Bundesrepublik bewegen und
Menschen ausländischer Herkunft ermorden – während in derselben Zeit alles, was
links war oder so bezeichnet wurde, minutiös überwacht, ausgespäht, gespeichert
und öffentlich als Feind der Demokratie denunziert wurde.
Der diesjährige
Karls-Preisträger brauchte für die Neuauflage seines Buches von 2003 über die
Geheimen Informanten keine wesentlichen neuen Erkenntnisse einzufügen, er hat
es lediglich aktualisiert. Auch in vielen weiteren Veröffentlichen präsentierte
und präsentiert er seine Erkenntnisse, etwa in dem von ihm mitherausgegebenen,
regelmässig erscheinendem Grundrechte-Report, dessen diesjährige Ausgabe in der
nächsten Woche von der ehemaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin der
Öffentlichkeit vorgestellt wird. Dieser alternative Verfassungsschutz-Bericht
konzentriert sich diesmal auf Grundrechtsverletzungen im Internet.
Rolf Goessner
publiziert seine kritischen Analysen auch in Sammelbänden, Reden und zum Beispiel
in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift Ossietzkyund in anderen vom Verfassungsschutz
erfassten „Organen der Demokratie“. Ebenso bringt er als Mitglied der Jury
seine Kenntnisse ein, um die jährlichen Big Brother Awards auszuwählen. Zu den
diesjährigen Negativ-Preisträgern, die sich allesamt ihrer Auszeichnung
entzogen, gehört Bundesinnenminister Friedrich, der sich der Laudatio von Rolf
Gössner erfreuen durfte. Weitere Preisträger sind etwa der
christlich-sächsische Innenminister Ulbig, der anlässlich einer
Anti-Nazi-Demonstration in Dresden über eine Million Datensätze bei 55.000
Telefoninhabern erheben liess. Ein weiterer Big Brother Award ging an das
Unternehmen Bofrost für die rechtswidrige Ausforschung des
Betriebsrats-Computers.
Ich lernte Rolf
Gössner vor drei Jahren persönlich kennen. Wir hatten ihn zur Konferenz „Arbeits-Unrecht“
eingeladen. Er referierte über die Überwachung der Beschäftigten in den Betrieben.
Dies ist eine wesentliche Entwicklung, dass nämlich schon längst nicht mehr nur
der Staat, sondern auch Unternehmensleitungen ihre Beschäftigten,
Gewerkschaftsmitglieder und die Betriebsräte mit geheimdienstähnlichen Methoden
systematisch und rechtswidrig ausspähen. Das genannte Unternehmen Bofrost ist
kein Einzelfall – die Überwachung zum Beispiel bei Deutsche Bahn, Telekom,
Daimler, Lidl, Burger King und jetzt Maredo wurden aufgedeckt und zum Skandal –
andere noch nicht. Da stehen noch eine kräftige Aufklärungsarbeit und die
Organisierung von Widerstand an.
Der Preisträger
hat auch die bundesdeutsche Rechts-Tradition ausgeleuchtet, etwa in seinem Buch
"Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen – Abrechnung
mit dem Osten?" In dem Buch "Menschenrechte in Zeiten des Terrors.
Kollateralschäden an der „Heimatfront“"prangert erden Zusammenhang an, der
zwischen der ebenso rechtslastigen Bekämpfung des halluzinierten Terrorismus
und dem Abbau von Menschenrechten besteht. Und dies nicht nur in Deutschland,
sondern in der gesamten sich selbst so nennenden westlichen Wertegemeinschaft.
Immer wieder
weist der diesjährige Karls-Preisträger, im Unterschied zu anderen Kritikern
des Verfassungsschutzes und der Polizei, darauf hin, was hier letztlich geschützt
wird: Nämlich eine bestimmte Sozial- und Wirtschaftsordnung. Eine Ordnung bzw.
Unordnung, die die Selbstbereicherung vor allem der alten und neuen
wirtschaftlich und finanziell Mächtigen ebenso ermöglicht wie die damit
ursächlich verbundene Verarmung und Entrechtung der abhängig Beschäftigten
beziehungsweise Noch-Beschäftigten und der Arbeitslosen und vieler weiterer
Betroffener.
Im Unterschied
zu den heimlich und rechtswidrig zustande kommenden und herbeifantasierten
„Erkenntnissen“ der Inlandsgeheimdienste hat der Preisträger seine Erkenntnisse
auf rechtlich einwandfreien Wegen erlangt und sie mit Fakten erhärtet. Keine
seiner veröffentlichten Erkenntnisse konnten widerlegt werden. Überhaupt, so
finde ich, ist es eine Beleidigung für die menschliche Erkenntnisfähigkeit,
wenn geheimdienstliche Produkte als „Erkenntnisse“ bezeichnet werden. Diese
widerlichen Produkte zerstören zudem die Demokratie, während die Erkenntnisse unseres
Preisträgers die Demokratie befördern.
Die Demokratie
wird den Demokraten bekanntlich nicht geschenkt. Wir klären auf durch kritische
Publizistik, wir bauen eine vernetzte Gegenöffentlichkeit auf. Wir müssen aber
die Demokratie auch erzwingen, wie der heutige Preisträger es mit den Urteilen
der Kölner und Düsseldorfer Gerichte erreicht hat. Ich erinnere an den
frühbürgerlichen Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der durchaus in der Lage
war, zu wichtigen Erkenntnissen zu kommen, die auch heute noch gültig sind. Er
schrieb in seinen Maximen und Reflexionen: „Wer das Recht auf seiner Seite hat,
muss derb auftreten. Ein höflich Recht will gar nichts heissen.“
Werter Rolf
Goessner, mit Dank und Anerkennung für das hartnäckig und kundig Geleistete und
Durchgestandene: Du hast dich um unsere gefährdete Demokratie verdient gemacht.
Herzlichen Glückwunsch zum Kölner Karls-Preis! (PK)
Jüngste
Veröffentlichung von Werner Rügemer: "Ratingagenturen. Einblicke in die
Kapitalmacht der Gegenwart" 190 S., transcript, april 2012. Inhalt:
Globalisierung des US-Ratingsystems. Die Eigentümer. Kriterien, Arbeitsweise.
Finanzmathematik und Amnesie. Ratingfreie Räume. Unbeauftragte, suggestive,
feindliche, inszenierte Ratings. Regulatory Capture-Komplizenschaft der
Finanzaufsicht. Debt Factory Working. Reformversuche in USA, EU, China.
Strukturen der Kapitalmacht der Gegenwart. Alternative: Die große Entschuldung
Online-Flyer
Nr. 355 vom 23.05.2012